Launiger Karnevalsgottesdienst in Baesweiler

Gut besuchter Gottesdienst in der Friedenskirche nahm örtliche Politik, Fernsehgewohnheiten und Steuersparer ins Visier

Wahlsonntag - und eigentlich ist das Publikum ein wenig talkshowmüde… Zuviel Olaf, Friedrich, Christian, Robert und Co. in den vergangenen Tagen. Aber es ist eben auch der Sonntag vor Karneval und diese besondere Sendung will dann auch kein Baesweiler Jeck verpassen. Live in der vollbesetzten evangelischen Kirche hat sich Moderator Tillmann Punkt (manche kennen ihn besser unter seinem Alias Jochen Gürtler in seinem Zweitberuf als Pfarrer) interessante Gäste zu „Talk doch mal, religional“ eingeladen – und es sind nicht die oben bereits erwähnten, sondern drei echte Experten („unabhängig, unparteiisch, unbetroffen, unfähig“). Themen sind Dinge, die die Menschen vor Ort im vergangenen Jahr bewegt haben.

Feste Größe im närrischen Kalender von Baesweiler

Die muntere Talkrunde ist in diesem Jahr das Hauptelement des Karnevalsgottesdienstes, zu dem die evangelische Kirchengemeinde Baesweiler-Setterich-Siersdorf eine Woche vor Karneval die örtlichen Karnevalsvereine und alle interessierten Jecken einlädt. Das hat bereits lange Tradition, wie Jochen Gürtler berichtet. Bereits sein Vorgänger habe in den 1990er-Jahren einen besonderen Gottesdienst zu Karneval angeboten und in den 80er und 90er Jahren habe es außerdem Karnevalssitzungen in der Gemeinde mit eigenen Kräften gegeben. Über die Jahre haben die Akteure gewechselt und mit ihnen die Form etwas variiert, aber der evangelische Karnevalsgottesdienst ist fester Bestandteil im närrischen Kalender Baesweilers geblieben. 

Gelebte Volkskirche

Eigentlich sei das ja nicht so typisch evangelisch, sagt Jochen Gürtler, aber vielen Karnevalisten (katholisch wie evangelisch) sei es wichtig, vor den tollen Tagen innezuhalten, Gott zu bitten, „dass alles friedlich ablaufen möge und an die zu denken, die nicht mehr dabei sein können“. Für ihn ist das Volkskirche, Menschen da abzuholen, wo in ihrem Leben etwas eine wichtige Rolle spielt, egal welcher Konfession. Und es sei auch eine schöne Möglichkeit, sich als evangelische Kirche in einem katholischen Umfeld zu zeigen. Was funktioniert: Die Friedenskirche in Baesweiler ist voll, zahlreiche Vereine sind der Einladung gefolgt, ebenso die närrischen Tollitäten der Stadt und viele weitere Karnevalsverrückte, mal in komplettem Kostüm, mal nur mit Hütchen, aber alle mit guter Laune.

Der karnevalistische Gottesdienst läuft ab wie ein normaler Gottesdienst, nun ja fast. Die Lieder sind etwas anders, neben klassischen Kirchenliedern gibt es welche mit neuem Text („Lobet den Herren, ihr eitlen Jecken und Narren, lobet den Einzigen, dem ohne Maske wir nahen“) und Karnevalslieder „mit himmlischem Bezug“ („Der liebe Gott weiß, dass ich kein Engel bin“). Wobei bei letzterem Pfarrer Gürtler die „protestantische Abwandlung“ wichtig ist: „Nicht ,das mit dem Himmel kriegen wir hin‘ sondern, das kriegt Gott für uns hin.“ 

Schulklos könnten auch in Baesweiler schöner sein

Höhepunkt ist das Anspiel anstelle der Predigt. Das bringt Jochen Gürtler seit sechs Jahren gemeinsam mit Claudia Däsler, Simone Wehr und Heidi Zick auf die Bretter des Altarraums. Geschrieben hat es auch in diesem Jahr wieder Claudia Däsler, im normalen Leben Leiterin der Kita Engelhaus in Setterich. Also, Kamera an für „Talk doch mal religional“. Statt geballter Politprominenz (eingeladen, aber anderweitig beschäftigt) begrüßt Moderator Tillmann Punkt zum nachmittäglichen Talk: Städtebauplanerin Kordula Schönstätter alias Heidi Zick, Motto „Jede Stadt kann schöner werden, wenn auf mich gehört wird!“, Eugenie-Maria Schlotterbacke-Eberspächer alias Simone Wehr, sie hat Theologie, Ökotrophologie, soziale Arbeit und Makramee studiert, sowie den Baesweiler Rentner Harald Schmitz alias Claudia Däsler. Diskutiert wird über die Stadtterrassen, ein Projekt, bei dem im vergangenen Jahr aus Parkflächen Orte zum Verweilen wurden, über die (nicht nur in Baesweiler) wenig schönen Schulklos und jugendliche Raser auf dem Supermarktparkplatz. Dazu hat jeder der drei Gäste eine Meinung, mal versteht man sich, mal redet man völlig aneinander vorbei, besonders Rentner Harald weiß nie, zu welcher der beiden Damen er tendieren soll. 

Politik bekommt ihr Fett weg

Dazwischen geht Tillmann Punkt mit Mikro ins Publikum und fragt es unter anderem dazu aus, wie oft man den so nachts mal raus müsse und wer gerne mal einen heißen Reifen fährt, mit Auto, Fahrrad oder Rollator, je nach Altersgruppe. Gesungen wird auch, ebenso wie reichlich gelacht, und auch die Politik bekommt am Ende noch ihr Fett weg, eine vermeintliche Hochrechnung, bei der die FDP die Mehrheit bekommt. Karneval wie er sein soll. 
Bei Kirchens gibt es aber immer auch eine Botschaft und die fehlt auch im Karnevalsgottesdienst nicht. Statt Wahlergebnissen soll es nämlich eigentlich um die Zahl der Kirchenaustritte gehen und um das Argument, damit Steuern zu sparen. Womit man sich letztlich keinen Gefallen tut, wie eine Übersicht über die Verwendung der Kirchensteuer zeigt. Denn da staunt nicht nur Rentner Harald nicht schlecht: Das meiste steckt die Kirche ja gar nicht in die eigene Tasche. Das fließt in die Begleitung von Menschen (Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung), ins Gemeindeleben und in Bildung und Erziehung. 

Eine solche „Botschaft zum Nachdenken“ mit einzubinden, sei ihnen wichtig, sagt Simone Wehr und so auch kirchliche Themen auf lustige Weise aufzugreifen. Die Idee das ganze als Talkshow anzulegen, sei schnell gefunden gewesen, erklärt Claudia Däsler. „Wir wollten was machen, womit sich die Leute identifizieren, Themen aus Baesweiler und das Ganze in lustig.“ Hat funktioniert, wie der begeisterte Applaus des Publikums (äh, der Gottesdienstgemeinde) bewies. Auch, weil die vier auf der Altarbühne in ihren Rollen aufgingen und sichtlich Spaß hatten und zeigten, wie Kirche eben auch sein kann.

Text: Andrea Thomas

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